Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität – www.dgti.org schreef:
Zur Berichterstattung über die mögliche Intersexualität von Caster Semenya
Am 20.8.2009 gewann die Südafrikanerin Caster Semenya in Berlin den WM-Titel im 800-Meter-Lauf. Aufgrund ihres Äußeren, welches in der Tat wenig weiblich wirkt, wird nun geprüft, ob bei ihr eventuell eine Intersexualität vorliegt. Intersexualität ist eine Abweichung vom "Normbild" eines weiblichen oder männlichen Körpers. Sicherlich können diese Abweichungen in Einzelfällen auch die Frage der Fairness im Sport berühren, obgleich diese Frage alles andere als trivial ist; jedoch ist es reine Spekulation, sich darüber auszulassen, solange die Ergebnisse dieser Tests noch nicht vorliegen.
Ein Test jedoch wurde schon weitgehend nicht bestanden: Der Test der Medien und der Öffentlichkeit, wie sie mit der eventuellen Intersexualität von Frau Semenya umgeht, und damit auch die Frage, wie sie mit Intersexualität überhaupt umgeht.
Spiegel online: "Fragen, ob dies der Körper einer Frau sein kann. Oder ob Semenya vielleicht ein Mann im Körper einer Frau ist." "Dann wird auch Semanya wissen, ob sie eine Frau oder ein Mann ist."
Die Zeit: "Athlet oder Athletin?" "Ist die 18-Jährige überhaupt eine Frau?"
DerWesten: "Ist sie in Wirklichkeit ein Er, der nur aussehen will wie eine Frau, oder ist sie eine Frau, die aussieht wie ein Mann? "
taz: Manchmal rennt eine Sie einfach nur schnell, weil sie ein Er ist"
Stern: "Mann oder Frau?"
Selbst wenn bei Frau Semenya Intersexualität (worunter mehr als 30 verschiedene Syndrome gefasst werden) festgestellt wird: Mit welchem Recht behaupten einige Medien, daß sie dann "ein Mann" sei? Und nach welcher Logik?
Schon die Feststellung ihres körperlichen Geschlechts ist nicht trivial, denn dieses wird keineswegs, wie öfters zu lesen ist, nur von den Genen bestimmt, sondern Gonaden (Eierstöcke bzw. Hoden), innere Geschlechtsorgane, die körpereigene Hormonproduktion, die Genitalien, und die sekundären Geschlechtsmerkmale spielen alle eine Rolle, und es gibt jede denkbare Kombination davon. Ein Grund dafür übrigens, warum die Gentests im Sport wieder abgeschafft wurden – ein Y-Chromosom alleine etwa führt bei einer Frau keineswegs zwangsläufig zu einem Vorteil. Im Falle einer kompletten Androgen-Insensivität (CAIS) etwa könnte sie nicht einmal das Testosteron, das auch ein weiblicher Körper natürlich produziert, verwerten. Sie wäre also gegenüber anderen Frauen im Nachteil durch die Androgen-Insensivität, trotz Y-Chromosoms.
Jedoch wird meist gar nicht groß über den vermuteten Chromosomesatz von Frau Semenya spekuliert – sondern es wird gleich ihre gesamte Geschlechtsidentität in Frage gestellt. Wenn sie keine "richtige" Frau ist, dann ist sie eben ein Mann. Und dies völlig ungeachtet der Tatsache, daß ihr Körper vom Normbild eines männlichen Körpers genauso, und aller Wahrscheinlichkeit nach wesentlich mehr, abweichen würde als von dem eines weiblichen Körpers (falls sie überhaupt intersexuell ist, was wir noch nicht wissen).
Wie würden diese Medien, die Frau Semenya für den Fall, daß sie intersexuell ist, als Mann bezeichnen, denn jemanden bezeichnen, der das männliche Geschlecht zugewiesen bekam und bis zu einer Untersuchung auch nie auf die Idee kam, eventuell kein "richtiger" Mann zu sein? Wäre der dann "eine Frau"? Oder sind automatisch alle körpergeschlechtlich uneindeutigen Menschen Männer? Unabhängig davon, wie sie sich selber sehen?
Denn unabhängig von der Körperlichkeit – was bei der Frage "Frau oder Mann" zählt, ist alleine die Geschlechtsidentität. Und diese passt zwar in den meisten Fällen zum Körper, aber eben nicht immer. (Und dort, wo der Körper nicht eindeutig ist, wird es erst richtig kompliziert. Manchmal.) Und Frau Semenya hat unseres Wissens noch nirgendwo auch nur ansatzweise erkennen lassen, daß sie sich nicht als Frau fühlt. Diese Frage ist also bereits beantwortet.
Sie in der Form zu stellen, wie sie von einigen Medien gestellt wurde, greift die Menschenwürde von Frau Semenya in einer unerträglichen Art und Weise an. Sollte sie tatsächlich als intersexuell diagnostiziert werden, wird ihr das Probleme genug bereiten. (Was nicht nur ein Intersexuellen-Problem ist; durchaus nicht Unähnliches tritt etwa auf bei Frauen, bei denen eine Brust oder beide amputiert werden muß, oder Männern, denen die Hoden entfernt werden müssen.) Es ist wirklich unnötig, daß sie sich auch noch mit einem Medienecho auseinandersetzen muß, welches ihre ureigenste Geschlechtsidentität in Frage stellt.
Wobei man annehmen darf, daß sie diese Probleme aufgrund des Medienechos bereits jetzt hat, wie auch Äußerungen von ihr zeigen. Hier vor hätte sie auch die IAAF schützen müssen, indem sie dafür sorgte, daß die Nachricht von diesem Test nicht durchsickerte.
Ebenso sollten sich die Medien die Frage stellen, was eine derartige Berichterstattung für Folgen hat für den Umgang mit intersexuellen Menschen. Etlichen Kommentaren konnte man schon entnehmen, was die Folgen sind: "Solche" Menschen sind Freaks, Mißgeburten, und außerdem, mindestens im Sport, Betrüger. Die mindestens 1-2% der Bevölkerung, die von Intersexualität betroffen sind, bedanken sich. (Auch die Zahl von 4% wird häufig genannt.)
Außerdem verstärken grade solche plakativen Formulierungen die Idee, daß es nur M oder F geben könne, und daß man beides sauber voneinander trennen könne. Genau dies ist aber offensichtlich nicht der Fall, und der Versuch, intersexuelle Menschen in die eine oder andere Richtung zu operieren, damit nun ja niemand auf die Idee kommen könnte, es könnte etwas außerhalb dieser beiden Kategorien geben, hat schon zu etlichen persönlichen Tragödien geführt; siehe etwa der Fall Christiane Völling. Und dieser Fall ist ja fast noch harmlos gegen jene Behandlungen, besser gesagt Verstümmelungen, die insbesondere Kleinkinder, die genital auffällig sind, über sich ergehen lassen müssen. Und auch hier wird schlicht ignoriert, daß man die Frage "F oder M" (oder vielleicht etwas anderes) doch ganz einfach beantworten könnte: Man müsste die Leute einfach nur fragen. Aber das ist scheinbar nicht "wissenschaftlich" genug.
Stellen könnte sich alleine noch die Frage nach der Fairness im Sport, wenn jemand über offensichtliche, aber seltene körperliche Vorteile verfügt. Nur, auch dieses Problem ist nicht ganz trivial. So hat erst kürzlich eine Untersuchung ergeben, daß Kenianische Läufer über eine Muskelökonomie verfügen, die ihnen im Vergleich zu anderen Läufern Vorteile verschafft. Dies kann man auch als unfair betrachten – aber was ist die Alternative? Sollen nur noch Menschen innerhalb eines bestimmten "Normbereiches" zu sportlichen Wettkämpfen zugelassen werden? Vielleicht auch eine Größenbegrenzung für Sportarten, wo die Körpergröße relevant ist? Wo zieht man welche Grenze? Wenn etwa Leichtathletinnen nur noch bei den Frauen starten dürften, wenn sie unterhalb einer gewissen natürlichen Testosterongrenze liegen, warum dann nicht ein Verbot von Basketballspielern über 1,85m? Es ist schließlich auch unfair, daß kleinere Menschen in diesem Sport keine Chance haben. Aber lebt nicht gerade der Leistungssport davon, daß Menschen, auch aufgrund ihrer körperlichen Verschiedenheit, überragende Leistungen erbringen können? Oder ist Verschiedenheit nur dann akzeptabel, wenn es nicht zuviel Verschiedenheit wird?
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